Der Kilometer-Zähler steht bei 1.035 km. Das Rennen läuft seit gut 65 Stunden, davon habe ich circa 5 Stunden geschlafen. Ich fahre den letzten Checkpoint oberhalb des Biggesees an, danach sind es noch 100 km bis ins Ziel. Es geht eine extrem steile Rampe hinauf, zum Glück geteert. Nach einer langen Nacht ohne Schlaf habe ich neue Energie gefunden und bin entschlossen noch ein paar Platzierungen gut zu machen. Das Rennfieber hat mich gepackt.
Checkpoint #1: Kalvarienberg (523m) bei km 98 (50.3674, 6.6411)
Im November letzten Jahres hab ich mich für das NorthRaceWestphalia 2023 angemeldet. Kurz zuvor - im Spätsommer - fuhr ich von Bonn aus in die Pfalz, mit einer kurzen Nacht an der Bushaltestelle. Ich begann zu experimentieren wie viel Zeit eines Tages ich auf dem Rad verbringen kann und wie weit ich fahren kann. Kein Modus für mehrere Wochen oder eine Weltreise. Aber für ein paar Tage gibt es einen guten Kick und die möglichen Distanzen sind beeindruckend.
Die angekündigten Eckdaten des NorthRaceWestphalia: 1.000 km und 10.000 Höhenmeter Kletterei. Das ist in etwa genauso weit wie von Aachen nach Bratislava an der slovakisch-österreichischen Grenze. Der Rennmodus ist „self-supported“, also ohne Hilfe von Freunden, Verwandten oder Teamcar. Was ich alles dabei hatte und gegessen habe, steht hier.
Auch Windschatten-Fahren ist für Solo-Starter verboten. Zehn Checkpoints sind an markanten Orten über ganz NRW und die Nachbar-(Bundes-)Länder verstreut. Oft auf einem steilen Hügel mit Schotterzufahrt. Diese Punkte müssen in einer festgelegten Reihenfolge abgefahren werden, die Route dazwischen planen alle Teilnehmenden selber. Preise gibt es nicht, alle Überschüsse werden an Ärzte ohne Grenzen gespendet.

komoot Screenshot; zur Route auf komoot | strava
Los geht‘s – Aber schön langsam
Der Start ist am 8.6. um 11:00 Uhr in Bad Honnef. Die ersten 15 km führen über einen festgelegten Parkurs über den Mucherwiesenweg hoch nach Ittenbach. Am Berg entzerrt sich das Fahrerfeld und es gibt kein Gedränge auf dem miserablen Rhein-Radweg. Ich gehe es betont langsam an und finde mich schnell am Ende des Feldes wieder. Nicht ohne Grund: Ein großer Teil meiner Vorbereitung bestand daraus mich auf das langsame Fahren einzustellen. Denn das schnelle Fahren sorgt natürlich für den direkteren Kick, mehr Adrenalin in kürzerer Zeit. Und dem verfalle ich ganz gerne mal. Jetzt brauche ich aber den langen Atem.
Die ersten beiden Checkpoints führen uns in die Eifel. Der Kalvarienberg bei km 100 bietet sich an für die erste Brotzeit. Ich hatte mir ein paar gekochte Eier mitgenommen, die eine hervorragende Ergänzung zu dem ganzen Süßkram sind. Mit dem tollen Ausblick auf die umliegenden Berge ist das ein toller Auftakt.
Das Race als Social Ride
Auf dem Weg zu Checkpoint 2 mache ich halt an einem Haus und frage nach Wasser. Es kämen schon seit Stunden Radfahrer vorbei und einer hätte auch schon nach Wasser gefragt. Die ganze Familie ist sehr interessiert – und wie die meisten Außenstehenden können sie es kaum fassen, dass wir gerade zu einer 1000 km Tour aufgebrochen sind. Hier holt mich Kathrin ein, die ich schon bei Checkpoint 1 getroffen habe. Im Laufe des Rennens bin ich fasziniert davon, dass ich über Stunden hinweg immer wieder die gleichen Menschen treffe. Es ist nett eine Weile zusammen zu fahren, bis die Routen sich dann wieder trennen. Mit Kathrin fahre ich bis zum Weißen Stein – das ist tatsächlich einfach ein Weißer Stein im Moor. Und gleichzeitig die höchste Erhebung des linksrheinischen Teils von NRW. Wenn das kein Highlight ist!
Dort trennen sich unsere Wege wieder und ich fahre weiter nach Westen um auf den Vennbahn-Radweg zu kommen. Die meisten anderen fahren direkt nach Norden. Das verrät mir die Tracking Website, denn alle Teilnehmenden haben einen Tracker dabei, der fast in Echtzeit die Position verrät. Zu diesem Zeitpunkt liege ich auf Platz 23 von knapp 40 Radelnden. So früh im Rennen ist noch (fast) alles möglich.
Durch die Nacht
Gegen Abend bin ich bei km 190 am Dreiländereck bei Aachen. Ab jetzt wird es für ca 250 km flach. Bis Checkpoint 3 in Venray, nördlich von Venlo treffe ich mehrere Male auf Christoph. Einmal steht er ganz euphorisch an einer Tankstelle und winkt mich zu sich. „Hier gibts alles!“ Ich freue mich, endlich wieder Wasser aufzutanken. Die Euphorie bleibt bei mir jedoch aus, als ich die zwei Automaten sehe. Schließlich bin ich nicht bereit 5€ für ein paar Flaschen Wasser auszugeben. Riegel und Süßkram habe ich selber noch genug.
Als ich an Checkpoint 3 ankomme ist es ca 2:00 Uhr und einige still stehende Punkte verraten mir, dass das ein beliebtes Schlaflager ist. Christoph gesellt sich bei kühlem Wind zu den anderen Punkten dazu. Ich tanke nur kurz Wasser am Bahnhof auf, sehe einen Radfahrer vorbei rauschen und mache mich wieder auf den Weg. Das Rücklicht blinkt noch eine Weile in der Ferne, bis es eine andere Route wählt. Zu der Zeit weiß ich noch nicht, dass das Abbi war, den ich an Checkpoint 10 zum dritten Mal wieder treffen werde.
Eigentlich rechnete ich damit, nachts zumindest eine kurze Pause mache. Doch die Müdigkeit bleibt aus. Das eigentlich ungeliebte Flachland ist auf guten Radwegen und der nächtlichen Ruhe gut zu fahren.
Als ich in Wesel wieder über den Rhein fahre ist es schon wieder hell. Bis Dorsten fahre ich parallel zur Lippe um dann in Richtung Herten abzubiegen. Der vierte Checkpoint ist die Halde Hoheward. Ein paar Kilometer vorher sehe ich, dass der Lidl gerade öffnet. Es ist genau 7:00 Uhr. Eine gute Gelegenheit um einzukaufen, obwohl ich mein provisorisches Schloss leider schon am Anfang verloren habe. Fahrraddiebe schlafen so früh noch und die große Glasfront der Discounter erlaubt es mir mein Rad an der Kasse im Blick zu behalten. Zum Frühstück gibt es ein Pizzateilchen, 1,5l schwippschwapp und ein paar snickers. Lecker!
Vom Ruhrgebiet ins Sauerland
Die Halde Hoheward ist eine beeindruckende Aufschüttung von Abraummaterial aus dem Tagebau. In der morgendlichen Sonne ist der Ausblick fantastisch.
Zumindest auf den Schotterpisten war kein Verkehr
Fast genauso beeindruckend ist der erwachende Verkehr, der mich nun bis zum Nachmittag begleiten wird. Der einzige entspannte Weg von hier aus in Richtung Kahler Asten wäre circa 4h früher gewesen. So lande ich mitten im Berufsverkehr(?) des Brückentags. Dort treffe ich Grischa, der hier in der Gegend aufgewachsen ist. Offenbar kennt auch er keine besseren Schleichwege – der Pott ist gnadenlos!
Gegen 11:00 Uhr bin ich kurz hinter Unna und aus dem aller gröbsten raus. Ich bin nun seit 24h unterwegs und habe über 450 km zurückgelegt. Erste Verschleißerscheinungen machen sich bemerkbar (Ja, ich hatte mir den Allerwertesten wund gefahren). Außerdem haben sich mehrere Schichten Dreck, Blüten und Insekten auf meinen Beinen und Armen festgesetzt. Und die Hitze kommt erst noch.
Auf dem Ruhrradweg suche ich verzweifelt nach einer Badestelle, unter einer Brücke werde ich endlich fündig. Die Abkühlung ist ein Traum und der Dreck färbt den halben Fluss schwarz.
Leider verfranse ich mich in Arnsberg etwas. Außerdem gibt es Anstiege, die so steil hoch und direkt wieder hinunter führen, dass sie kein Routenplaner kennt (Danke, Arnsberg!). Außerdem fordern Schlafmangel, Hunger und die Hitze ihren Tribut. Als nächstes steuere ich also einen Imbiss an, um mich zu stärken. Danach suche ich nach einem ruhigen Plätzchen für ein Powernap. Gar nicht so einfach, denn der Radweg führt sonstwo her und viel mehr als die viel befahrene Straße ist nicht in Aussicht.
Schließlich finde ich ein nettes Plätzchen und rolle meine Isomatte aus. Den Wecker stelle ich mir auf 30 Minuten. In der Zeit kommen zwei Leute vorbei die mich fragen, ob es mir gut ginge. „Ja, wenn ihr mich nicht vom Schlafen abhalten würdet!11!!“ denke ich. Der zweite hat mit einer Kamera herumhantiert, von der ich nur den Auslöser hörte. Ich wollte nun gerade wirklich nicht von wildfremden Leuten fotografiert werden! Dass Nico, der offizielle Renn-Fotograf quer durch NRW hinter uns Punkten herjagt um Fotos zu machen, konnte ich ja nicht ahnen!
Berge, Burgen und ein öffentliches Klo
Nicht gerade ausgeschlafen, aber trotzdem mit neuer Energie, fahre ich am späten Nachmittag den Kahlen Asten an. In meinen Bemühungen größere Straßen zu vermeiden, hatte ich mir hinter Winterberg ein paar fiese Rampen, vorbei an einer Skisprungschanze eingebaut. Der Kahle Asten an sich ist recht unspektakulär. Dort traf ich jedoch wieder einige andere Fahrer. Zusammen mit Till, Abbi und Grischa mache ich mich auf den Weg zum nächsten Checkpoint, ich durch Bad Berleburg wieder eine steile Rampe hinauf, die anderen beiden dran vorbei. Circa bei km 615 treffen wir uns wieder vor dem Anstieg zur Sackpfeife, Checkpoint 5. Die letzten paar hundert Meter führen über Schotterwege und oben gibt es natürlich kein Wasser. Ich merke, dass es dringend Zeit für eine längere Pause wird. Wir fahren zügig wieder ins Tal nach Battenberg. Dort erwischen wir noch einen Dönerladen kurz vor Ladenschluss, der sich freut uns mit üppigen Salaten zu versorgen. Meiner ist extra-üppig, weil die anderen ja auch noch eine Pizza dazu geordert hatten und ich nicht.
Auf dem Kahlen Asten
Nachdem wir noch schnell Wasser tanken und den Laden verlassen geht es uns wieder ganz gut. Für mich ist jedoch klar, dass ich diesen Ort für ein paar Stunden nicht mehr verlassen werde. Irgendein Plätzchen wird sich schon finden, immerhin gibt es eine Burg. Und – noch viel wichtiger: Laut komoot eine öffentliche Toilette. Ich bete, dass sie auch nachts geöffnet ist. Denn sonst hätte ich mich im Ort äußerst unbeliebt gemacht. (Glück gehabt!)
An der Burg lege ich mich unter den nächst besten Picknicktisch und stelle meinen Wecker auf vier Stunden Schlaf. Auf einmal wache ich auf und höre, wie sich eine Gruppe Jugendliche nähert. Hm, ich tue mal so, als ob ich sie nicht höre. Als sie am Tisch ankommen und mich und meine Sache sehen fragen sie recht schockiert was denn hier denn los sei und ziehen wieder ab als die Antwort ausbleibt. Brav!
Gegen 4:30 Uhr in der früh packe ich meine Sachen, suche noch einmal die Toilette auf und fahre ins Edertal. Die Hauptstraßen sind noch wie leergefegt und die letzten Nebelschwaden lösen sich gerade auf. Es ist eine traumhafte Stimmung.
Nach einem kurzen Umweg wegen einer verpassten Brücke mache ich in Fritzlar halt und hole mir im teegut ein kleines Frühstück mit Quinoa Salat, Mezzo-Mix, eine Packung Knoppers-Riegel, ein Apfel und zwei Bananen. Ein paar Straßen weiter pausiert Simon, wir sehen uns gegenseitig auf dem Tracker.
Kasseler Berge und unerwarteter Besuch
Bald komme ich an der Fulda an blühenden Mohnfeldern vorbei. Dann wird die Routenplanung etwas unklar: Eigentlich wollte ich die Kasseler Berge meiden, weil sie steil und fies sind und an der Fulda und Weser in Richtung Schloss Berlepsch, dem nächsten Checkpoint fahren. Ich entscheide mich jedoch spontan doch für die Kassler Berge – und ja sie sind immernoch steil und fies. Aber auch sehr schön. Die Werra gekreuzt und einen steilen Schotterweg zum Schloss hoch, gerate ich in ein Hochzeits-Vorbereitungskommittee. Der Fotograph erzählt mir, dass da hinten wohl ein Versorgungsfahrzeug für uns bereit steht. Wie bitte, für uns? Ja, die Überraschung ist gelungen. Josch, den ich vom Mainfranken Graveller kenne, steht mit Getränken und Knabbereien bereit. Was für ein Held! Vor allem weil er weniger geschlafen hat als ich, alle 1-2h kam jemand vorbei und wollte versorgt werden.
Außerdem mit von der Partie: Nico, der uns vor der Weiterfahrt jeweils einzeln mit dem Schloss im Hintergrund ablichtet. Wahnsinn, dass er uns bis hierhin folgt! Es ist der Punkt der Strecke, der am weitesten vom Startpunkt entfernt liegt.
Grischa und einige andere waren auch wieder da. Wir rätselten, wann wohl der Wind, der bisher gegen uns war, endlich zu unserem Vorteil würde. Immerhin haben wir ja nun den östlichsten Punkt erreicht. Was bei Nord-Ost-Wind natürlich nur hilft, wenn man dann nicht noch weiter nach Norden fährt.
Zu Besuch daheim
Doch durch den Naturpark Münden und entlang der Weser ging es tendenziell Richtung Norden. In Beverungen verlasse ich den Weserradweg. kurz bevor ich am Gelände des Orange Blossom Special Festivals vorbei käme, dass ich jedes Jahr an Pfingsten besuche. Im Nachhinein ärgerte ich mich, dass ich nicht ein Foto vor dem Glitterhaus-Gebäude gemacht habe. Dort gibt es jedes Jahr ein tolles Wandgemälde. Es ist schon etwas unreal, dass ich in diesem Rennen quer durch meine Heimat fahre. In Ottbergen halte ich am nahkauf. Natürlich treffe ich auch Leute aus Hembsen, dem Ort wo meine Eltern wohnen. Die gewohnten ungläubigen Blicke als ich von meinem Unterfangen erzähle.
Der nahkauf versorgt mich jedoch sehr gut. Zur Abwechslung gibt es ein Brötchen mit Schinken und Krautsalat, eine Tüte Chips und 1,5l Bitter Lemon. Von anderen Teilnehmenden habe ich gehört, dass sie es in der Gegend schwer hatten sich zu versorgen. Und ja, Tankstellen und andere Einkaufsmöglichkeiten sind eher rar gesät.
Nächster Stopp ist mein Heimatort Hembsen, vorbei am Sportplatz wo ich früher Fußball gespielt habe. Bei km 838.
Kultstätte Externsteine
Das nächste Ziel sind die Externsteine. Lustigerweise von anderen Teilnehmenden auch „Externe Steine“ genannt. Stimmt ja auch. Bis dort hin hat mich die Nachmittags-Hitze wieder ganz gut durchgebraten und ich rolle meine Matte aus. Auf einmal schrecke ich auf als 50m von mir entfernt ein Dudelsack losdudelt. Das ist wirklich eine unangenehme Art geweckt zu werden. Etwas versöhnt mich die Tatsache, dass mein Wecker eh in 3 Minuten geklingelt hätte. Eine halbe Stunde Schlaf soll erstmal reichen. Während neben mir ein meterdicker alter Baum umarmt wird, mache ich mich wieder auf die Socken.
Jedoch nicht ohne nochmal kurz zu auf der Tracking-Website nachzuschauen was so um mich herum los ist. Abbi, Gina, Till und Simon sind 10-30 km vor mir, Grischa kurz hinter mir. Zu dem Zeitpunkt bin ich auf Platz 12. Nicht schlecht, aber die Chance ist da ein paar Plätze aufzurücken. Alles wird davon abhängen, ob ich in der Nacht nochmal eine Schlafpause brauche oder nicht.
Die nächsten Kilometer führen über große Ausfallstraßen durch Bad Lippspringe und Neuhaus. Dort hat es vor kurzem gewittert mit mehr oder weniger starkem Regen. Gutes Timing. Als ich an einer roten Ampel warte, werde ich Zeuge eines bizarren Unfalls: Ein Auto biegt von links links ab und fährt dabei etwas zu schnell. Das Heck bricht aus, es dreht sich leicht, wird dabei langsamer. Nicht langsam genug, um den Aufprall auf das an der mir gegenüberliegenden Ampel wartende Auto zu verhindern. Mit einem sanften, aber bestimmten Rumpeln prallt es mit der Nase an das Heck des wartenden Autos. Auf der Fahrerseite steigt ein Jugendlicher aus und vom Beifahrersitz huscht eine andere Person auf den Fahrersitz. Soso.
Ich bin jedenfalls gewarnt und die Straße ist tatsächlich ziemlich glitschig. Umso erleichterter bin ich, als ich aus dem Verkehrstrubel rauskomme. Am frühen Samstag Abend fahre ich durch Bentfeld parallel zur Lippe. Die Gegend scheint wie verlassen. Für den Rest des Rennens werde ich nur noch eine handvoll Autos sehen. Ich fahre sehr weit nach Westen um mir im Sauerland ein paar Höhenmeter zu sparen. Mit konstant um die 30 km/h fahre ich im Sonnenuntergang Lippstadt entgegen. Dort fülle ich auf dem Friedhof meine Wasservorräte zum letzten Mal auf und esse nochmal ordentlich.
Ich fahre südlich an Soest vorbei nach Neheim an der Ruhr, wo ich am Tag zuvor in der Hitze und dem dichten Verkehr gelitten habe. Jetzt, in der einbrechenden Nacht ist es sehr angenehm zu fahren. Der letzte große Anstieg führt mich zum Sorpesee. Es ist eine gespenstisches Panorama: Schwarz über schwarz, nur die groben Ausmaße des Sees und der Berge lassen sich erahnen. Ein paar Grasbüschel am Rand des Radweges sind von meinem Licht erleuchtet. Während dem Anstieg werde ich müde. Ich erinnere mich an Christoph Strassers Worte, der immer auf dem Gipfel Koffein zu sich nimmt, damit er nicht einschläft, wenn sich der Körper während der Abfahrt entspannt. Ich halte Ausschau nach einem Cola-Automaten – doch ohne Erfolg. Kurz vor dem Gipfel gehe ich kurz aus dem Sattel, in dem Moment löst sich der Druck vom langen Sitzen. Das gibt einen kurzen Schmerz, der jetzt dafür sorgt, dass ich wieder hellwach bin. Wer braucht schon Koffein!
Zielsprint
Nun ist Checkpoint 10 zum greifen nahe! Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen, ob ich dort noch jemanden antreffe. Nach der steilen Rampe und einem kurzen Schotter-Abschnitt komme ich an der Hütte mit Blick über den Biggesee an. Et voilà: Till, Gina und Abbi sind noch da. Simon hat schon vorher Pause gemacht. Gegen 4:30 beginnt also der Endspurt um Platz 8.
Wir fahren ins Tal und am nächsten Anstieg rast Till davon und biegt ab. Die beiden anderen sind hinter mir außer Sichtweite. Offenbar wählt Till eine andere Route. Ich habe mich für eine schnelle Route entschieden mit langen, leicht abfallenden Passagen, teilweise über Radwege ohne viele Kreuzungen. Ich checke noch, ob ich gut genug versorgt bin. Immerhin liegen noch 100 km also circa 4 Stunden vor mir: Genug Wasser, noch ein paar Riegel – passt! Also Kopf runter und los gehts.
Ich schaue nicht mehr auf den Tracker, ich fahre einfach nur Vollgas. Die Knie tun mir schon seit der kühlen Nacht im Sauerland weh, jetzt kommt noch die Oberschenkel-Muskulatur dazu, die einfach am Ende ist. Die Hände werden von der Dauerbelastung kribbelig. Kein Grund zur Sorge, das Ende ist ja absehbar. Also ist es ab jetzt ein Kopfsache. Nach einem kurzen geschottereten Anstieg fahre ich in Wegeringhausen durch einen alten Eisenbahntunnel. Von dort aus geht es circa 15 km lang konstant mit 40km/h bergab. Hier gibt es keine andere Zufahrt auf den Radweg als durch den Tunnel, also kann ich heizen. Danach wird es zäh, vor Engelskirchen wird die Straße breit, einige rote Ampeln ohne jeden Verkehr folgen.
Ich fahre durch Siegburg, Sankt Augustin und in Bonn ca. 500 m an meiner Wohnung vorbei. Immerhin wird es langsam angenehm warm. Die 13 km bis Bad Honnef gehen relativ zügig. Ich erreiche das Ziel völlig fertig. Dafür mit der schnellsten Zeit auf dem Segment zwischen Checkpoint 10 und dem Ziel von allen Teilnehmden. 30 Minuten später kommt Till an, er hat den Weg durch die Berge gewählt und ärgert sich etwas über seine Routenwahl. Falls ihr das Rennen nochmal anschauen wollt: Die Tracking Website hat einen Replay Button.
Glücklich und kaputt
Der Empfang von Christian ist sehr herzlich. Die Kaltgetränke sind ein Traum, die Liegestühle auch. Um 8:30 ist er noch der Einzige am Ziel. Wir begrüßen Gina, Abbi, dann Simon und Grischa. Ich habe das Gefühl, dass meine Beine immer noch brennen. An den morgendlichen milden Temperaturen liegt es nicht. Ich lege mich in den Rhein, danach irre ich völlig von Sinnen im Ruderhaus herum und suche die Duschen. Ich schnappe mir einen Kaffee und etwas Müsli, aber gegen die Müdigkeit hilft auch das nicht. Also lege ich mich mit meiner Isomatte draußen auf die Wiese. Nach einer guten Stunde werde ich von einem wild herum rennenden Dackel geweckt, dessen Besitzer es wohl nicht stört, dass er auf mich zurennt und ich ihn wild wedelnd verscheuchen muss. Ich habe Durst. Das Ruderhaus ist abgeschlossen, nun sind alle bei der Zielankunft auf der anderen Seite der Gleise. Ich gehe barfuß hin um mir den Schlüssel zu holen. Jeder Schritt ist mühevoll und ich sehe aus als hätte ich drei Tage auf einem Rodeo gesessen. Naja, so ähnlich war es ja auch.
Mittlerweile ist es früher Nachmittag. Der Asphalt an der Zieleinfahrt glüht und ich springe von Schattenfleck zu Schattenfleck um mir nicht die Fußsohlen zu verbrennen. Immerhin komme ich schnell an den Schlüssel und hampel wieder zum Ruderhaus zurück.
Ich lege mich nochmal hin, vielleicht erwache ich ja später doch noch von den Untoten. Den Tag über kommen weitere Teilnemende ins Ziel, auch am Abend noch. Es gibt Pizza, die Stimmung ist gut und wir verabschieden uns herzlich. Mit Basti, der schon am Tag zuvor auf Platz drei reinkam und die letzte Nacht zuhause schlafen konnte und dem Bollerwaden Trio fahre ich in der Bahn zurück nach Bonn. Von der Haltestelle aus habe ich nach Hause geschoben. Die nächsten Nächte habe ich sehr gut geschlafen.
Symbolbild: Wie ich mich nach dem Rennen fühlte
Comments7
Ein sehr schöner Bericht!…
Ein sehr schöner Bericht!
Stark gefahren, bis bald ;)
Großartig! Ich bin…
Großartig!
Ich bin begeistert was du geschafft hast und es war cool zu lesen.
Sehr spannender Bericht,…
Sehr spannender Bericht, tolle Bilder und krasse Leistung💪 Ich bin gespannt, was nächstes bei dir kommt😉
Wunderbare Beschreibung! Bei…
Wunderbare Beschreibung! Bei mir kommen alte Erinnerungen an die langen Brevets hoch, an denen ich teilnahm.
Grüße aus (ebenfalls) Bonn von Bernd, der Dich im Fediverse bei Mastodon abonniert hat.
Respekt!
Respekt!
Sehr schön geschrieben, mir…
Sehr schön geschrieben, mir tut alles weh nur vom Lesen. ;)
Ein sehr schöner Bericht…
Ein sehr schöner Bericht Andi.
Die Tour ist super gelaufen.
Respekt.